„Danke, dass du mir Hoffnung gegeben hast.“ Ein Satz, der mich zu tiefst berührt hat. Gesagt hat ihn ein junger Mann, der aus Eritrea geflüchtet ist und nun in der Schweiz lebt. Eine eng befreundete Familie von mir unterstützt und begleitet ihn. Er lernt Skifahren, Jassen, unsere Sprache…er liebt Raclette und ist ein fröhlicher und lustiger Kerl, der von Herzen gerne lacht. Er ist dermassen motiviert, dass er in seiner Klasse ohne Probleme mithalten kann und zu den Klassenbesten gehört. Wissbegierig, interessiert und scheinbar unermüdlich fordert er Neues, direkt und unglaublich charmant und sympathisch. Sein Tagesziel ist, mindestens ein neues Wort für seinen deutschen Wortschatz zu lernen. Neben dem ist sein Alltag gefüllt mit Lernen, Arbeiten, aktiv das Leben gestalten.

Doch manchmal, in all dem Eifer, in all der Bewegung werden seine Augen traurig. Die strotzende Kraft aus seinem schlanken Körper scheint zu schwinden und seine Schultern werden schwer. Eine unsichtbare Last drückt ihn zusammen und er wirkt plötzlich klein und zerbrechlich: „Wie kann ich das bloss vergessen? Wie kann man das jemals vergessen?“ – er meint damit seine Geschichte. 4 Jahre lang war er auf der Flucht, hat alles hinter sich gelassen. Familie, Freunde, sein Land. Von vielen wurde er getrennt, einige hat er während der Flucht verloren. Wenn er erzählt von dieser Reise durch verschiedene Länder, Wüsten, Meere, dann friert einem das Blut in den Venen ein. Unfassbar und erschütternd was Menschen anderen antun. Wütend und unglaublich traurig hat es mich gemacht diese Bilder zu „sehen“. Plötzlich war das Lachen verstummt und wieder fragte er: „Wie kann ich das vergessen?“. Die Frage galt nicht uns, die zugehört haben. Er wollte keine Antwort von uns. An die Welt da draussen war sie gerichtet.

Was sagt man einem Menschen, der scheinbar alles verloren hat, was ihm lieb war. Was er kannte und liebte. Was er vermisst und vielleicht nie wieder haben wird? Es gibt sie nicht, die richtigen Worte. Ohnmächtig und wie erschlagen sassen wir alle an einem Tisch. Berührt von einem Schicksal, wie es Tausende jeden Tag erleben. Wie soll er das vergessen? Kann er Ruhe finden und seinen Weg trotzdem gehen? „Wenn ich doch nur ein Buch schreiben könnte, dass diese Bilder aus meinem Kopf und dem Herzen gehen. Doch fehlen mir die Sprache und die Worte dazu.“

„Und wenn wir dir alle helfen deine Geschichte aufzuschreiben? So wie du gelernt hast Ski zu fahren, zu jassen, wie du unsere Kultur und Sprache lernst, wie du ein Teil einer Familie sein kannst. Bedingungslos. Und weil wir glauben, dass du es schaffst. Mit deiner positiven Einstellung, deinem Humor, deiner Motivation, der Wissbegier, deinem Wesen.“

Seine Augen fingen wieder an zu strahlen, sein Körper schien wieder leicht, sein Lachen erfüllte wieder den ganzen Raum und die Trauer und die Schwere war wie verschwunden. „Danke, dass du mir Hoffnung gegeben hast.“

Auch wenn der Schleier der Traurigkeit ihn wieder ummanteln wird, erfüllt es mich trotzdem mit grosser Freude, dass durch ein natürliches und bedingungsloses Zulassen von Nähe so vieles möglich ist. In dem man ohne zu werten einen Menschen nimmt, wie er ist, für ihn in Zeiten des Sturmes ein Anker ist, ein Fels in der Brandung. Ein unbezahlbares Geschenk, das keine materiellen Reichtümer schenkt, dafür die grösste Kraft im Leben. Hoffnung…auf Neues, auf Gutes…Hoffnung auf Leben!

Hoffnung gaben wir ihm, aber Hoffnung gab er auch uns, gab er auch mir! Seine Geschichte, sein Wesen, diese unglaubliche Kraft berührten mich…was uns voran treibt und uns am Leben hält, was uns träumen lässt, uns die höchsten Hürden überwinden lässt, ist die Liebe. Seine Geschichte schenkt mir Hoffnung…