Ein Reh, ein scheues Waldtier. Ganz zart, zerbrechlich, fast ein bisschen mystisch und unglaublich schön. Ein Beutetier, von vielen gejagt, ein Opfer. Ich habe bewusst das Reh gewählt als „Bild“, als Metapher in meinem neusten Text. Einerseits weil das Reh eines meiner Lieblingstiere ist (neben Antilopen) und ich sie schon immer sehr bewundert habe. Ihre Schönheit, Grazie, Eleganz und mystische Ausstrahlung haben mich immer fasziniert und sie begleiten mich schon seit der Kindheit. Auch wenn das Reh vor allem ein Beutetier ist, stand es für mich immer für eine wahnsinnige Kraft, Energie, Faszination und Neugier für das Leben.

In unserer Gesellschaft ist Macht ein grosses Thema. Profit ziehen aus der Schwäche anderer, sich nehmen, was man „braucht“ ohne Rücksicht auf andere oder was es für Spuren hinterlassen könnte. Betrug, Gewalt, seelischer und körperlicher Missbrauch, nur um eigene Löcher zu füllen, um zu kompensieren. Doch ist es leider so, dass sich die „Opfer“ oft auch benutzen lassen, sich aussaugen oder missbrauchen lassen. Manches können wir nicht beeinflussen, doch wie wir dazu stehen, was wir daraus machen, wie mir mit den Narben, den Gefühlen umgehen, das können wir zu einem grossen Teil steuern. Sich selber zu stärken, sich Mut zuzusprechen sich selber zu sein. Egal ob Löwe oder Reh. Sich anzunehmen, wie man ist, Vertrauen in das eigene Licht zu haben. Da kommt es nicht auf körperliche Grösse an. Der Glaube an sich kann so vieles bewegen.
Und wenn die Kraft, der Glaube, das Vertrauen manchmal schwindet und Zweifel oder Ängste die Seele belagern und die Kontrolle übernehmen, dann nur um uns zu zeigen, wo der Weg nicht weiter geht. Ein Zeichen, ein Signal um etwas loszulassen, was nicht verändert werden kann. Wie wir aber damit umgehen, das können wir verändern, selber bestimmen. Wir können uns selber erschaffen, wir sind die einzigen Denker in unserem System. Wunden, Narben, Verletzungen bleiben. Das ist das Leben. Aber wir können in Bereitschaft und Annahme der Situation, der Gefühle, der erlebten Geschichte weiter gehen, die Richtung ändern. Auch wenn es ans Limit geht…wenn Kraft, Mut, Vertrauen, Glaube, Hoffnung scheinbar fehlen. So kann auch ein scheues Reh einen Jäger verblüffen, wenn es genau dann sein Licht scheinen lässt.

Also lassen wir uns nicht vom Aussen einreden, wie stark wir sind, ob wir genügen, wie liebenswert wir sind oder ob wir es schaffen. Glauben wir an uns selbst und wenn es dunkel wird und Schwere sich breit macht, erinnern wir uns an das Licht, das ganz hell in uns scheint. Geben uns Zeit, geduldig, sorgsam, liebevoll und achtsam. Und lasst uns nicht vergessen, dass wir niemals alleine sind.

Mut und Vertrauen in sich selbst, Liebe, die hält, das wünsche ich uns allen! Dem Reh, dem Löwen, dir und mir. Und in Zeiten der Dunkelheit wünsche ich uns allen ein Licht, das für uns scheint, eine Hand, die hilft wieder aufzustehen, eine Stütze, die uns zeigt, wofür unser Herz schlägt.

Wie ein scheues Reh
Gehetzt und gejagt
Erschöpft und hilflos scheint es in die Enge getrieben
Triumphierend legt der Jäger seine Waffe nieder
Will seine Trophäe bewundern, sie einsperren
Siegessicher und stolz stillt er sein Bedürfnis nach Macht
Kompensiert, füllt, nimmt
Geniesst die Schwäche seines Opfers

Doch vergisst er, dass das zarte Wesen vor ihm von innerer Stärke strotzt
Scheinbar besiegt, erinnert sich das erschöpfte Reh daran
An seine Kraft, seinen Stolz, seine Würde

Auch wenn es ausweglos scheint
Bäumt es sich auf, in seiner ganzen Grösse
Aus dem tiefsten Inneren seines Herzens lässt es sein helles Licht scheinen
Unglaublichen Mut bringt es auf
Sich, sein Leben, die Liebe in ihm
Stellt es über seinen Peiniger und seine verblassende Präsenz

Und ihm wird klar, dass ihm nichts passiert
Nicht mehr, nicht in diesem Licht, nicht in seiner Kraft

Erschrocken und verblüfft lässt der Jäger es ziehen
Stark und selbstbewusst geht das Reh seinen Weg
In Versöhnung mit sich selbst vergibt es
Sich selbst, dass es sich jagen liess
Dass es an sich zweifelte
Dass es Angst vor seiner Schwäche und Verletzlichkeit hatte

In ihm steckt viel mehr Kraft als von aussen sichtbar ist
Mehr als es selber wusste
Mut und Vertrauen werden ihm helfen, sich daran zu erinnern
Wenn es wieder in die Enge getrieben wird von einem Jäger