Liebe Alle

Es ist schon etwas länger her seit meinem letzten Blogbeitrag «Ich bin hochsensibel!». Das hat verschiedene Gründe. Unter anderem war ich persönlich gerade in einer etwas schwierigen Lage, wie ganz viele andere auch in dieser chaotischen Zeit. Durch die aktuelle Lage ist die ganze Kulturbranche (andere Branchen natürlich auch) zusammengebrochen und alle geplanten Konzerte, Events und live Workshops fielen ins Wasser. Da ich mich erst kurz vor der Pandemie ganz selbständig gemacht habe (ja ich weiss, das war meine Entscheidung und als Selbständiger geht man gewisse Risiken ein), fiel die Unterstützung vom Staat eher spärlich aus und ich fand mich in einer, sagen wir mal, schwierigen Situation wieder. Nach einer turbulenten Achterbahn von Selbstzweifeln, finanziellem Notstand und brutaler Konfrontation mit all meinen bis dato unterdrückten «Schattenthemen» habe ich mich wieder einigermassen gefangen und bin wieder auf Kurs. Gesangsunterricht, Coaching und Massagen sind wieder erlaubt unter der Einhaltung der Hygienemassnahmen.

Braucht es meinen Job noch? Möchten Menschen noch singen oder Konzerte besuchen, wenn singen als gefährlich gilt? Soll ich einen anderen Weg einschlagen, wenn die Gesellschaft Kultur und das Soziale zwar ungeheuer schätzt, aber es nicht wirklich anerkannt wird als Job/Beruf und die Unterstützung durch Beifall und verbale Wertschätzung passiert aber nicht finanziell? Braucht es mich überhaupt noch?

Ja, ich übertreibe und provoziere jetzt ein bisschen, aber ich sage auch die Wahrheit, wie ich es empfunden habe.
Ich möchte hier unbedingt anfügen, dass ich von meinem Umfeld, meinen «SchülerInnen» und KundInnen sehr unterstützt wurde in dieser schwierigen Zeit und sie mir gezeigt haben, dass es sich lohnt, dran zu bleiben, an sich zu glauben und dass Kultur sehr wohl wichtig ist, sehr wohl Arbeit ist und sehr wohl ein Grundbedürfnis der Menschen ist. Es ist Seelennahrung! 

Der Grund warum ich diesen Blogbeitrag schreibe, ist aber ein anderer. Respektive durch die persönliche «Krise», die ich erlebt habe, wurden mir einige meiner tiefsten Schattenthemen bewusst. Warum liess ich mich so verunsichern von äusseren Faktoren? Warum gingen diese Zweifel so weit, dass ich sogar mich als Menschen hinterfragt habe?
Als ich neulich eine tief berührende, in meinen Augen unglaublich wichtige und wertvolle und doch zutiefst bedrückende und traurige Doku auf SRF geschaut habe, erschlossen sich mir ganz viele Sachen. Der DOK heisst «Hass gegen LGBTQ+» (hier könnt ihr gerne nachschauen, sehr empfehlenswert)
LGBTQ ist eine aus dem englischen Sprachraum übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer. Wer gerne mehr Hintergrundwissen dazu haben möchte, kann gerne auf Wikipedia nachlesen.

Ich zähle mich selber zu dieser Gruppierung Menschen, auch wenn ich der Meinung bin, dass es keine Schubladisierungen braucht um uns Menschen zu «trennen» oder sich abzusondern. Es ist lediglich eine Definition der Sexualität. Wir alle sind in erster Linie eines, Menschen. Aber bei dieser Definition/Unterscheidung fängt es ja schon an. Gesellschaftliche Normen bestimmen, wer «dazu» gehört, wer eine Minderheit ist und nicht «normal» ist. Was ist denn normal? Okay, das würde den Rahmen dieses Blogbeitrages sprengen. Aber Leute mal ehrlich, was ist denn schon normal?
Die Gesellschaft gibt uns übrigens nicht nur im Bereich Sexualität vor, wie wir zu sein haben, dass wir als gleichberechtigt gelten. Es gibt noch gaaaanz viel zu tun 🙂

Der Film zeigt, wie in der heutigen Zeit (2021!!!!) immer noch täglich Diskriminierung, Gewalt, Spott, Hass und Ausgrenzung gegenüber Menschen mit einer anderen Sexualität als der Norm entsprechenden Heterosexualität passiert. Ah, und das in der Schweiz, dem ach so fortschrittlichen Land, in dem nicht alle Menschen heiraten dürfen, wen sie lieben. Also nur Männer, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben. Sonst natürlich schon!
Es hat mich traurig und wütend gemacht (auch wenn mir natürlich bewusst war, dass solche Geschichten immer wieder passieren. Ich wollte es einfach nicht mehr hören und wahrhaben). Ich fand es mutig von all den Protagonisten des Filmes, die sich öffentlich zeigen, ihre Geschichten erzählen und Einblick gewähren in ihre dunkelsten Emotionen und Kämpfe. Es hat mich aber auch an meine Geschichte erinnert.

Schon als Kind galt ich als «anders». Sehr feinfühlig, verträumt, extrem empathisch, harmoniebedürftig, untypisch Junge (mich interessierte Fussball nicht, dafür Farben, Haare, Fantasiewesen, Geschichten, Tiere…). Und so wurde ich früh damit konfrontiert, was es bedeutete nicht zur Norm zu gehören. Anfänglich waren das kleine Hänseleien und dann wurde das zu handfestem Mobbing und Gewalt. Psychisch und körperlich. In der Oberstufe (7. bis 9. Klasse) erlebte ich tägliche Angriffe und war oft froh, wenn sie «nur» du Schwuchtel, Zwitter, Mädchen oder Missgeburt schrien.

Warum erzähle ich hier (und auch in anderen Posts, Beiträgen) meine (Leidens)geschichte? Nicht um Aufmerksamkeit oder Mitleid zu erregen, aber um ein Tabu zu brechen. Um andere zu ermutigen und zu inspirieren ihre Geschichten zu erzählen. Um zu zeigen, dass du nicht allein bist und dass es wichtig ist, aufzuklären. Ich kann und will meine Geschichte nicht noch mal erleben, aber vielleicht kann sie jemand anderem ganz viel Leid und Schmerz ersparen. 

Hass, der zu Selbsthass wurde. Das war eine Überlebensstrategie von mir. Ich war (dachte ich zumindest) zu schwach um mich zu wehren und dem entgegen zu treten, was mich von aussen mit brutaler Wucht platt gemacht hat. Allein, ausgegrenzt, verängstigt und ich konnte mich niemandem anvertrauen. Das war jedenfalls lange tief in mich eingebrannt. Und da ich mit niemandem über mein Innenleben, meine Ängste und meine Erlebnisse gesprochen habe, fing ich an, zu glauben, was andere über mich sagten. Ich war gefangen in der Opferrolle. Der Hass, der mit entgegen kam, wurde zu Selbsthass. 

Als ich älter wurde, veränderte sich natürlich viel. Mein Outing (ein schlimmes Wort, aber leider scheint es immer noch nötig zu sein in der heutigen Gesellschaft) verlief bis auf einige spezielle Momente sehr gut. Nach der obligatorischen Schulzeit konnte ich mir mein Umfeld bewusster und achtsamer aussuchen und ich habe gelernt, dass es nicht wichtig ist, dass dich ALLE so annehmen und lieben, wie du bist. Und doch blieben von der Vergangenheit viele Narben und vor allem Glaubenssätze und Strukturen zurück. Ich habe sie tief in meinem Inneren versteckt, in einer Schatztruhe, am dunkelsten Ort meiner Seele. Auch heute erlebe ich es manchmal immer noch, dass Menschen «starren», doofe Sprüche fallen lassen, wenn ich mit meinem Partner Hand in Hand spazieren gehe oder gelacht oder getuschelt wird, nur weil ich lange Haare habe. Sooo lustig, nicht?

All das und noch einige andere Sachen haben dazu geführt, dass bei mir und ganz vielen anderen Menschen nun der Zeitpunkt gekommen zu sein scheint, um WIRKLICH aufzuräumen mit altem Ballast, der schon lange nicht mehr zu mir gehört. Wie auch dieser alte Schmerz, das Leid, die Qualen und Lasten, die negativen Glaubenssätze (ich bin nicht liebens- und lebenswert…etc.), der Hass, der Selbsthass. All das darf jetzt gehen, all das darf ich jetzt loslassen. Versuche es auch! Lasse all den schweren Ballast einfach los! 
Ich will niemanden beschuldigen, aber mir wurde einfach auf eine ganz klare, brutale fast ohrfeigende (ist das ein Wort??) Art bewusst, dass unterdrückte Emotionen wie Neid, Wut, Hass NUR zu selbstsabotierenden und zerstörenden Verhaltensweisen führen und das muss nicht sein. Niemand ist hier auf der Erde um zu leiden! Auch wenn es sich vielleicht manchmal so anfühlt. Wir sind hier um Mensch zu sein, um zu wachsen. Miteinander und nicht getrennt!

Und ja, ich appelliere an euch, dass Hass und Gewalt NIEMALS ein Weg ist. Erzählt eure Geschichte, schämt euch nicht, zu sein, wer ihr seid und seid es euch wert Hilfe zu suchen und anzunehmen, wenn ihr Opfer von Gewalt, Diskriminierung und Hass seid! Manchmal braucht es Jahre der Heilung, Geduld, Nachsicht, viel Liebe und eine grosse Portion Mut um die eigenen Schatten mit Licht zu durchfluten. Ein stetiger Prozess und es wird immer wieder Erinnerungsfetzen geben, die schmerzen. Sie gehören zu uns, wie die mit Liebe erfüllten Erinnerungen auch. Wenden wir uns der Liebe zu, dann passiert sie: Transformation! Dann können wir unsere Flügel ausbreiten und die Schmetterlinge sein, die wir sind. Einzigartig und wunderschön!
Du bist einzigartig und wunderschön! Vergiss das nie!! Ja, auch Du und ich!!

 

Ich danke Dir für Deine Unterstützung, Dein Sein und Deine Geschichte!
Alles Liebe
Maik

«Mutig zu sein bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es trotzdem zu tun!»